ETWAS: Eine Einladung, etwas zu tun
Gegründet 2016 von den deutsch-französischen Künstlern und Designern Kadia Dabo und Kévin Cabaret, entwickelt ETWAS („Etwas“ aus dem Deutsch) einen Ansatz, der in den sozialen Zwischenräumen verankert ist und eine Beziehungsökologie verkörpert, in der Kunst als Hebel für Transformation und Heilung wirkt – ein Manifest in Aktion. Weder Künstlerkollektiv noch konventionelle Vermittlungsstruktur, entstand diese hybride Initiative im Saint-Chinianais, einer ländlichen Region Südfrankreichs, geprägt von Isolation, wirtschaftlichen Schwierigkeiten und sozialen Spannungen, als Antwort auf Kontexte, in denen scheinbar alles fehlte – Infrastruktur, Mittel, Anerkennung. Paradoxerweise identifizierte das Duo genau in diesen Leerstellen einen fruchtbaren kreativen Nährboden.
Konfrontiert mit diesen vernachlässigten Orten, musste ETWAS die Entstehungsbedingungen für Kunst neu erfinden – basierend auf einem Aktionsforschungsansatz. Ihre Methode, die hinterfragt, wie gemeinsames Wissen entsteht, verwandelt Einschränkungen in Handlungshebel. Geschwächte öffentliche und gemeinnützige Strukturen, verfallende Innenstädte, fragile landwirtschaftliche und natürliche Umgebungen werden so zu temporären Laboren, in denen eine Dialektik zwischen kontextualisiertem Wissen und zeitgenössischer Kunstpraxis erprobt wird. Diese unsichtbare Arbeit der Reaktivierung – wiederhergestellte Vertrauensnetze, geschaffene Dialogräume, Brücken zwischen sich fremden Welten – geht jeder Intervention voraus und macht sie erst möglich, im Sinne von Tim Ingolds Gedanken, dass „jedes Ding ein fortlaufender Prozess“ ist.
Die Einzigartigkeit von ETWAS liegt in seiner sensiblen Verankerung: ein Lauschen auf latente Erinnerungen und unscheinbare Dynamiken, das den Reichtum des bereits Vorhandenen offenbart. Durch offene Protokolle der Ermächtigung, des Sammelns und des Ausdrucks – basierend auf Gesten, Objekten und Erzählungen – aktivieren sie dieses unsichtbare lebendige Gewebe, um jenes „Etwas“ Unerwartetes entstehen zu lassen.
Hier werden Bewohner:innen, Schüler:innen, Menschen in prekären Verhältnissen und mit unterschiedlichen Fähigkeiten zu Mitgestaltern ästhetischer Prozesse, die eine zentrale Frage beantworten: Wie erschaffen wir gemeinsam das Wissen und die Zukunft eines Ortes, einer Erinnerung, einer Praxis? Dieser Ansatz schreibt eine neue Grammatik der sozialen Skulptur, in der jedes gesammelte Fragment geduldig die Geschichte des Gemeinsamen neu zusammensetzt.
Aus diesen Prozessen entsteht heute eine performative Praxis, die keine Werke, sondern transformative Situationen hervorbringt – als Antwort auf die dringende Frage: Wie kann Kunst wirklich „Gesellschaft machen“? Indem ETWAS zeigt, dass marginalisierte Kontexte immenses Potenzial bergen, skizziert es eine neue Ökonomie des künstlerischen Schaffens: Prozess vor Objekt, nachhaltige Aktivierung statt punktueller Intervention, Schaffen mit statt für. Jenes „Etwas“, das dabei entsteht – zugleich bescheiden und essenziell – ist nichts anderes als eine geduldige Reparatur des sozialen Gewebes durch die Kunst selbst.
Seit 2024 ist Köln (und allgemein Deutschland) das neue Forschungsfeld von ETWAS. Das Saint-Chinianais bleibt jenes ursprüngliche Labor, in dem eine besondere Sensibilität für fragile Kontexte entwickelt wurde. Dieses neue rheinische Umfeld verlangt nun nach anderen Maßstäben: Wie können Prinzipien aus ländlichen Randgebieten urbane Milieus befruchten? Wie lässt sich diese Beziehungsökologie in unterschiedliche institutionelle Realitäten übertragen? ETWAS ist nicht mehr ganz dasselbe, doch sein Wesen bleibt: Es geht immer noch darum, jenem fehlenden „Etwas“ zuzuhören, um gemeinsam jenem „Etwas“ Gestalt zu verleihen, das entstehen will.


